SCHLUSSFOLGERUNGEN
->
Bildungslaufbahn und Maturaschulbewertung
-> Berufspotentiale
-> Visionäre und Angepasste - Apokalyptiker
und Integrierte?
-> Ausblick auf das zweite Projektjahr
Die
gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung schwankt zwischen den
beiden Polen der zunehmenden Urbanisierung und Suburbanisierung
auf der einen und der immer stärkeren Betonung der naturräumlichen
(Er-)Lebenswelten auf der anderen Seite. Die Menschen wohnen immer
mehr in den Städten (oder Dörfern, die sie zu Vor-Städten gemacht
haben) und wollen immer mehr Zeit auf dem Land/in der Natur verbringen.
Ländliche Regionen laufen Gefahr zu temporären (in Wochenend- und
Urlaubszeit aktivierbaren) Freizeitparks für Tagesgäste aus der
Stadt zu mutieren, mehr Refugium als Lebensraum zu sein.
Um als Lebensraum eine Zukunft zu haben, brauchen Regionen tragfähige
soziale Gefüge, Gemeinwesen, Personen, die soziale, gesellschaftliche
und wirtschaftliche Funktionen übernehmen. Abwanderung, die über
die "natürlichen", biographischen Wanderungsbewegungen hinausgeht,
gefährdet die Tragfähigkeit der sozialen Systeme und Subsysteme
auf dem Land.
Der bessere und vor allem "breitere" Zugang zur höheren Bildung
hatte den sogenannten "Fahrstuhleffekt" zur Folge: Eine ganze Generation
(bzw. ein großer Anteil davon) schaffte den Aufstieg in die nächst
höhere soziale Schicht und strebte in die höheren, besser bezahlten
Arbeitssegmente. Pendlerströme und verstärkte Abwanderung aus Berufs-
und Einkommensgründen sind die Folge. So entstand ein Spannungsfeld
zwischen den Bedürfnissen des Individuums und den Erfordernissen
der Gemeinschaft, des Kollektivs.
Ländliche Regionen wie der Lungau sind Ziel (2-Gebiet) vielfältiger
Entwicklungs-bestrebungen. Viele dieser Bestrebungen laufen aber
Gefahr, nur in bescheidenem Ausmaß Erfolg zu haben, da sie mit unangepassten
Konzepten arbeiten und das vorhandene und mobilisierbare Potential
zu wenig berücksichtigen.
Die Erhebung und Beschreibung dieses Potentiales ist Intention der
vorliegenden Arbeit. Im Schulbereich waren im Lungau in den letzten
Jahren Bemühungen sichtbar, das Angebot an die aktuellen beruflichen
Erfordernisse anzunähern, sich zu profilieren und zu positionieren.
Die SchülerInnenzahlen im Lungau sind aber rückläufig, immer mehr
Jugendliche nutzen die höheren Bildungseinrichtungen außerhalb der
Region.
Diese
Entwicklung kann auch auf das Fehlen eines allgemeinbildenden Oberstufengymnasiums
zurückzuführen sein. Die Schwerpunktbildung an den Schulen erweitert
die eingeschränkten Möglichkeiten nicht. Die starke Ausrichtung
auf Zukunftstechnologien und Multimedia hebt die Schul- und Ausbildungsqualität,
erhöht jedoch nicht die Vielfalt der Ausbildungsmöglichkeiten. Der
Abwanderung in Richtung berufsbildende höhere Schulen kann damit
nicht wirkungsvoll begegnet werden.
Bildungslaufbahnen
und Maturaschulbewertung
Die
regionale Situation der Verteilung der SchülerInnen zwischen örtlichen
Hauptschulen und der Unterstufe der höheren Schulen im Zentralort
deckt sich weitgehend mit den Schulbesuchsmustern in ländlichen
Räumen allgemein. Kinder aus Tamsweg besuchen eher das Gymnasium,
SchülerInnen aus den anderen Gemeinde bleibt nach der Hauptschule
meist nur die Wahl zwischen HAK oder Pendeln. Die Bildungslaufbahnen
ziehen unterschiedliche berufsbiographische Konsequenzen nach sich.
Während AbsolventInnen der HAK eher dazu neigen, gleich ins Berufsleben
einzusteigen und dies oftmals in ihrer Herkunftsregion tun (oder
wenigstens versuchen, dort Fuß zu fassen) neigen AHS-AbsolventInnen
zu ausgedehnteren Bildungskarrieren, die eine Rückkehr eher unwahrscheinlich
werden lassen. Die Grundannahme dieser Studie "je höher (die Bildung)
desto (dauerhafter) weg" kann als bestätigt angesehen werden.
In
der Schulbewertung durch die ehemaligen SchülerInnen schneiden die
außerhalb des Lungau liegenden Maturaschulen etwas besser ab als
die innerregionalen. Dieser Bewertungsbonus kann aber dadurch bestimmt
sein, dass bei der Entscheidung, eine auswärtige Schule zu besuchen,
eine stärkere Eignung für den Schultyp, die individuelle Neigung
und Identifikation mit den Schulzielen eine größere Rolle spielen.
Die Vermutung, dass eine Schule nicht aus reinem Interesse, sondern
eher als "Notlösung" gewählt wurde, dürfte vor allem auf die HAK
Tamsweg zutreffen, wo jedeR dritte MaturantIn angegeben hat, lieber
eine andere Schule besucht zu haben.
Hinsichtlich
der Vorbereitung auf das Berufsleben oder Studium erfahren die Schulen
eine ihren Ausbildungsschwerpunkten entsprechende Zustimmung. Allerdings
fühlen sich von denen, die nach dem Gymnasium Tamsweg eine weiterführende
Ausbildung genossen haben, weniger als die Hälfte durch ihre "Grundausbildung"
gut auf das Studium vorbereitet; von den BHS-Absolventen sind es
in der subjektiven Einschätzung ebensowenige, die optimale Voraussetzungen
für ihr späteres Berufsleben aus der Schule mitbekommen haben.
Im
Bereich soziale Kompetenz sowie bei der Übertragung des Schulwissens
zur Alltagstauglichkeit bestehen noch Entwicklungs- und Verbesserungspotentiale.
Der Trend der letzten Jahre zu mehr fächerübergreifendem Unterricht
und neuen Fächern/Lehrinhalten wie Konfliktmanagement, zeichnet
sich bei der Beurteilung unserer Befragten schon leicht ab, dieser
Bereich ist allerdings noch ausbaufähig und ihm sollte aufgrund
der Erfordernisse des gehobenen Arbeitsmarktes nach Führungskompetenzen
und Schlüsselqualifikationen besonderes Augenmerk geschenkt werden.
Berufspotentiale
Die
Erwerbsquote innerhalb der Stichprobe liegt weit über dem Durchschnitt
in der Gesamtbevölkerung, was besonders aufgrund des hohen Frauenanteils
bemerkenswert ist. Auch die im Lungau ansässigen Frauen stehen fast
alle im Erwerbsleben. Zwei Drittel der Befragten haben nach der
Matura Akademien oder Universitäten besucht, und bieten eine breites
Spektrum an beruflichen Kapazitäten. Es zeigt sich eine hohe Berufs-
und Einkommenszufriedenheit, was sich aus der weitgehenden Deckung
der Berufswünsche, -ausbildungen sowie der tatsächlich ausgeübten
Berufe erklären lässt. Der Arbeitsmarkt im Lungau wird durch alle
Befragten realistisch eingeschätzt, die Chancen für AkademikerInnen
und andere Höhergebildete als gering erkannt, persönliche Arbeitsmöglichkeiten
in der Region werden von den wenigsten gesehen. Diejenigen, die
sich am Lungauer Arbeitsmarkt positionieren konnten, zeichnen wider
Erwarten ein positiveres Bild der Lage.
Dementsprechend
stellen berufsimmanente Faktoren den Hauptgrund für die Wanderungsströme
des kreativen und innovativen Potentials dar. Veränderungswünsche
und Beharrungspotentiale Die soziale und emotionale Bindung der
Befragten an die Region ist, oft auch nach Jahren, die in anderen
Lebenszusammenhängen verbracht wurden, bei den meisten enorm hoch.
Besonders ausgeprägt ist dieser "Heimwehfaktor" bei denjenigen,
die noch sehr jung sind, und erst kürzlich die Region verlassen
haben. Die Bindungsintensität verliert sich zwar etwas mit den Jahren,
es findet so etwas wie eine "Emanzipation" von der Familie und der
Herkunftsregion statt. Das selbstgewählte "Exil" wird mit zunehmen-dem
Alter mehr zur Heimat, die Herkunftsregion bleibt aber das emotionale
Zuhause. Bei denjenigen, die bereits einen Großteil ihres Erwachsenenalters
außerhalb der "Heimat" verbracht haben, kommt so etwas wie ein "Heile-Welt-Faktor"
zum tragen. Das was man verlassen hat, soll so bleiben wie es ist,
bis man, vielleicht, wiederkommt. Dementsprechend sind die Veränderungswünsche
bei denen, die in der Region leben, stärker ausgeprägt.
Die
LehrerInnen im Lungau konnten als ein Gruppe ausgemacht werde, die
sich besonders durch Zufriedenheit mit der sozialen Situation auszeichnet,
also eher einen Beharrungs- als Innovationswillen zeigen, was in
der "Arbeitsplatzsicherheit" und der Vielfältigkeit der persönlichen
Möglichkeiten für gesellschaftliches und kulturelles Engagement
begründet liegen kann.
Visionäre
und Angepasste - Apokalyptiker und Integrierte?
„Survival
of the fittest“ - dieser Satz von Herbert Spencer, irrtümlich oftmals
Charles Darwin zugeschrieben, meint nicht das Überleben der "Besten",
sondern der "Bestangepassten". Diejenigen, die ihren Lebensmittelpunkt
im Lungau sehen, weisen verstärkt pragmatische Tendenzen in ihren
Wertungen auf, es scheint eine Anpassung der Wünsche an die Wirklichkeit
erfolgt zu sein. „Dableiber“ sind keine Versager. Sie finden sich
ebenso häufig in der Reihe jener, die ihr persönliches Berufsziel
erreicht haben.
Die "Pragmatischen" sind auch nicht die "Resignierten", sie zeichnen
sich vielmehr durch eine hohe Identifikationsrate aus, die aber
mit einer ausgeprägten Bereitschaft und ausgesprochenen Forderung
nach moderater Veränderung (kein Lungoland!) im Lungau einhergeht.
Veränderungen sind für die "Ortsfesten" wichtiger als für die „Mobilen“,
da alltägliche Erfordernisse der Lebensraumgestaltung und -sicherung,
der Attraktivität einer Kultur- und Konsumlandschaft im Mittelpunkt
der Interessen stehen. Diese Erfordernisse können hinsichtlich der
Wünsche derer, die sich eine "konservierte" Schauwelt Lungau erträumen,
ein Spannungsfeld ergeben. Da die Wanderungsströme derjenigen, die
den Lungau (wahrscheinlich für immer) verlassen haben vor allem
in Richtung Großstadt gehen, ergibt sich bei diesen eine höhere
Wertschätzung des Lungaus als Naturraum. Die Wünsche der "Ortsfesten"
sind aber bei Regionalkonzeptentwicklungen höher zu gewichten, Ebenso
wichtig sind die Anliegen der "Vielleicht-Rückkehrer".
Je
mehr Zeit außerhalb vom Lungau verbracht worden ist, desto unwahrscheinlicher
wird die Rückkehr. Es handelt sich dabei vor allem um die formal
Höhergebildeten, Unangepasstheit bzw. Versagertum konnten jedoch
nicht als vorrangige Gründe für Wanderungswünsche identifiziert
werden. Dableiber müssen mehr soziale Nähe dulden (ertragen können),
mehr soziale Beziehungen eingehen, die nicht auf Affinität und Symathie
beruhen, sondern situationsspezifisch sind.
Ausblick auf das zweite Projektjahr
Das
zweite Projektjahr hat eine qualitative Vertiefung der bisherigen
Ergebnisse zum Ziel. Die bereits angedeuteten "Idealtypen" sollen
mittels geeigneter höherer statistischer Verfahren (z.B. Clusterananlysen)
ermittelt und beschrieben werden. Die Kategorie derer, die "vielleicht"
zurückkommen werden, ist zu spezifizieren, Gründe sind zu eruieren.
Auch die These der "größeren Genügsamkeit" als Bleibefaktor, bislang
eine Unterstellung, soll durch weitere Analysen und qualitative
Interviews überprüft werden.
Das
Spannungsfeld zwischen "Wunsch & Wirklichkeit", von Ortsfesten und
Mobilen soll näher beleuchtet werden. Kann das (kreative und innovative)
Potential zur Entwicklungskapazität werden - und wenn ja, wie? Welche
personellen Kapazitäten (Ressorcen) nutzt die Region - welche lässt
sie brach liegen?
Ein
Problem für die Umformung des sozialen Gefüges in den Regionen kann
die Tatsache darstellen, dass homogene soziale Gefüge keine wirklichen
Eliten dulden. Lediglich die neuen Bildungseliten als "paraelitäre
Bevölkerungssegmente" finden einen Platz im Gesellschaftsgefüge.
Es wird die Frage gestellt, ob das Konzept der "Lokalen Eliten"
durch ein Konzept der "paraelitäten Segmente im pseudo-egalitären
Gemeinwesen" ersetzt werden kann. Klassische soziale Differenzierungen
und Dichotomien "Arbeiter/Bauern"; "Adel/Bürgertum"; bilden keine
schlüssigen Kategorien in der Bewertung der sozialen Wirklichkeit
mehr. Konturen weichen sich auf: Der Adel ist abgeschafft, es gibt
keine wirkliche bürgerliche Elite, Bauern sind zugleich unselbständig
Erwerbstätige. Schichtzugehörigkeit wird über Bildung und Einkommen,
weniger über Herkunft generiert.
Enge
soziale Bindungen, wie sie in kleinräumlich strukturierten Gemeinwesen,
geprägt durch ein enges Interaktionsnetz in Großfamilie, Verwandt-
und Nachbarschaften und anderen, engmaschigen soziokulturellen Netzwerken
entstehen, stellen einen prägenden Sozialisationsfaktor dar. Kinder
in urbanen Räumen werden meist in und durch Klein- (und Kleinst-)familien
sozialisiert (zwei Generationen; [Vater]-Mutter-1Kind). Das übrige
Beziehungsnetz der Heranwachsenden generiert sich durch "professionelle"
und selbstgewählte Kontakte und ist weitgehend individuell gestaltbar
(Freunde, Bekannte, Kindergarten- und Schulumgebung), Veränderungen
sind im Bereich des Möglichen. Kinder, die in der "sozialen Verdichtungszone"
Dorf aufwachsen, erfahren ihre Lebenswelt stärker determiniert:
Es spielen vielmehr Menschen darin eine Rolle, die man sich nicht
selber ausgesucht hat. Sozialisation passiert, indem man in die
dörfliche Gemeinschaft hinein wächst, einen Platz dort findet -
oder auch nicht. Damit das innovative, kreative Potential die vakanten
Plätze ausfüllen kann, ist neben Wanderungs- auch Wandlungsvermögen
notwendig.
(C)
2001 by Fuchshofer/Eckstein - detailierte Ergebnisse sind als pdf-file
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